Nun doch reines Fussballstadion?

LinseDie OTZ berichtet in ihrer heutigen Ausgabe (28.01.2012) über die neuesten Entwicklungen in Sachen Stadion. Dies wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten:

Die Förderanfrage der Stadt Jena zeigt unveröffentlichte Details des Stadionprojektes für das Ernst-Abbe-Sportfeld: Die nicht-sportlichen Veranstaltungen sollen überwiegen von der Großtagung bis zur privaten Geburtstagsfete. Aber auch der FC Carl Zeiss Jena und der FF USV Jena sollen eine moderne Heimstätte bekommen. Eine Betrachtung in sieben Punkten.

1. Das Stadion heute
Der Regen prasselt nieder, kalter Wind pfeift durch das Jenaer Paradies. Am Samstag vor einer Woche bekommen Zuschauer, die nicht auf der Haupttribüne sitzen, die Breitseite. Obwohl sie für Sitzplätze zahlen, stehen die meisten auf der Gegengeraden. Keiner mag Platz nehmen auf den nassen Sitzschalen. Zur Halbzeitpause reihen sie sich ein. Nicht nur am Bratwurststand, sondern auch an den Dixi-Klos. Die volle Stadionkapazität von 12.500 Plätzen ist nicht mehr nutzbar, da Kaninchen einen Stehplatzblock unterhöhlt haben - gebraucht wird er angesichts des Zuschauerschnitts von 5000 selten. Am modernsten ist die 1997/98 erbaute Haupttribüne, die aber zu geringe Kapazitäten im VIP-Bereich aufweist. Die Ehrengäste werden teils im Zelt verköstigt.

»Wir brauchen ein modernes Stadion, um im Wettbewerb mit den anderen Vereinen wirtschaftlich - und damit mittelfristig auch sportlich - nicht den Anschluss zu verlieren«, sagt der Präsident des FC Carl Zeiss, Rainer Zipfel. Über die besseren Vermarktungsmöglichkeiten eines modernen Stadions hinaus sei es auch höchste Zeit, »den Service für unsere Fans deutlich zu verbessern.«

2. Das Bauprojekt
Laut Förderanfrage soll eine »polyvalente Multifunktionsarena« entstehen. Zunächst war geplant, die Laufbahn im Stadion zu belassen und neue, verschiebbare Tribünen zu errichten. Diesen Ansatz hat die Stadt Jena verworfen. Die Leichtathletik soll neben dem Sportgymnasium ein eigenes Stadion mit kleiner Tribüne erhalten. Die vor zwei Jahren eingeweihte neue Tartanbahn verschwindet - die neue Arena wird ein Fußballstadion mit 16.000 Plätzen. Aus der Förderanfrage gehen die Daten hervor, die den Architekten während der Ausschreibung als Gestaltungsgrundlage dienen. Demnach wird das Spielfeld in Richtung Haupttribüne verschoben, so dass nur sechs Meter Abstand bleiben. In der Tribüne werden die für die Sportler notwendigen Räume vorgehalten. In den heutigen VIP-Bereich zieht das Pressezentrum ein, zudem wird eine Mixed Zone für Interviews geschaffen. Die Gästeteams bekommen größere Kabinen.

3. Die Neubauten
An der Gegengerade entsteht ebenfalls direkt am Spielfeldrand eine neue Tribüne, die 2500 Sitzplätze, 1000 VIP-Plätze und 150 Sitze in zehn Logen bietet. Sie beherbergt das mehrstöckige Tagungszentrum mit großzügigem Foyer. In Tagungsbestuhlung finden 2000 Personen Platz, 1500 bei Galaveranstaltungen. Im Bühnenbereich ist der Saal, der für kleinere Veranstaltungen teilbar ist, bis zu acht Meter hoch. Nord- und Südkurve werden abgerissen. Stattdessen rücken Tribünen auf 7,50 Meter ans Feld heran. Die Südtribüne (6000 Stehplätze) teilen sich nicht wie bisher Heim- und Gästefans, die künftig auf einem Teil der Nordtribüne unterkommen (1000 Steh- und 600 Sitzplätze). Die Tribünen verfügen über witterungsgeschützte Promenaden, über die Imbissstände und Toiletten erreichbar sind. Ob die Ecken zwischen den Tribünen offen oder geschlossen sind, obliegt den Architekten. An der Stadtrodaer Straße soll ein Parkdeck mit zwei Ebenen und 900 Plätzen entstehen, das die Woche über als Ersatz für wegfallende Stellplätze im Zentrum dient (Park & Ride). Direkt hinter dem Tagungszentrum soll ein Trainingsfeld zusätzlichen 300 Stellplätzen geopfert werden. Durch Rasenplatten bleiben aber Grün und Versickerungsfläche erhalten.

4. Das Nutzungskonzept
Das Institut für Sportstättenberatung aus Euskirchen erstellte mit der Stadt Jena eine Prognose zur Nutzung und glich sie mit der Arena in Heidenheim ab. Da im Umfeld der Stadt in Baden-Württemberg doppelt so viele Menschen wie in Jena wohnen, wurde die Zahl der Veranstaltungen auf die Hälfte derer in der Heidenheimer Arena reduziert. Falls noch weniger angesetzt waren, wurde diese Zahl beibehalten. Kalkuliert wird mit 112 Veranstaltungen pro Jahr. Anker für die sportliche Nutzung bilden das Männerteam des FC Carl Zeiss Jena und das Frauen-Bundesliga-Team des FF USV Jena. Außerdem soll ein Nachwuchs- oder Frauenländerspiel pro Jahr stattfinden. Zudem hält das Institut ein Großkonzert alle zwei Jahre für realistisch, da Künstler wegen weniger verkaufter Tonträger häufiger und länger auf Tourneen gehen. Die Auftakt- oder Abschlussveranstaltung der Kulturarena könnte vor einer der Tribünen stattfinden. Im Tagungsbereich macht die Studie ein deutliches Defizit in Jena bei Veranstaltungsräumen für mehr als 400 Personen aus. Zudem verfüge das Steigenberger Hotel Esplanade nach dem Umbau über einen deutlich kleineren Tagungsbereich. Die angesetzte Zahl von Veranstaltungen erscheint realistisch. So ist beispielsweise nur eine Hauptversammlung kalkuliert, obwohl mindestens drei große Jenaer Aktiengesellschaften als Nutzer infrage kommen. Die Jenoptik AG und die Carl Zeiss Meditec AG weichen aktuell mangels Kongresszentrums in Jena in die Weimarhalle aus. Angesichts der Hochschulen und Institute vor Ort erscheint es nicht unrealistisch, dass eine Großtagung und acht Kleintagungen pro Jahr im Neubau stattfinden und sich dies im Laufe der Jahre ausbauen lässt.

5. Die Finanzierung
Die Baukostenschätzung basiert unter anderem auf Vergleichswerten anderer aktueller Stadionprojekte. Sie beläuft sich auf 25 Millionen Euro, von denen die Stadt Jena maximal 90 Prozent durch Fördermittel des Landes und des Bundes ersetzt bekommt. Offen ist die Finanzierung der Nebenkosten wie etwa des Parkdecks und neuer Straßen - Jenas Finanzdezernent Frank Jauch (SPD) rechnet für Umfeldmaßnahmen grob mit weiteren fünf Millionen Euro. Voraussetzung für die Fördermittel ist die überwiegend touristische Nutzung. Als Tourist gelten Besucher mit mehr als 30 Kilometern Anreiseweg. Für den Spielbetrieb des FC Carl Zeiss ermittelte das Institut die Touristenquote von 49 Prozent. Für die anderen Veranstaltungen helfen Vergleichsdaten der Stadien in Dortmund, Duisburg, Heidenheim, Köln, Mainz und Mönchengladbach. Zusammengenommen mit dem Sport sei demnach langfristig mit 250.000 Besuchern pro Jahr, davon 133.000 Touristen, auszugehen. Das Institut schätzt ein, dass trotz der Konkurrenzsituation mit der Erfurter Arena das Nachfragepotenzial ausreichend sei.

6. Das Betreiberkonzept
Eine kommunal dominierte Betreibergesellschaft muss die Arena führen. Basierend auf dem Nutzungskonzept sei ab dem vierten Jahr mit einem Gewinn von 10.000 Euro pro Jahr zu rechnen, davor mit jährlich 38.000 Euro minus. Kalkuliert wird dabei, dass der FC Carl Zeiss Jena eine Stadionmiete von 400.000 Euro pro Jahr zahlt. Aktuell soll der Verein etwa 300.000 Euro überweisen, muss aber weiteres Geld in die Hand nehmen, damit das Stadion überhaupt tauglich ist. Notstromaggregate, Toletten oder zusätzliche Ordner eingerechnet, kommt der Club bereits jetzt auf einen Betrag in dieser Größenordnung. Jedoch musste der Fußball-Drittligist aufgrund von Liquiditätsschwierigkeiten die Zahlung eines Teilbetrages zurückstellen. Einnahmen für die Gesellschaft wären über eine Vermarktung des Stadionnamens möglich nach dem Motto »XY-Arena im Ernst-Abbe-Sportfeld«.

7. Der Zeitplan
»Wir arbeiten gerade die sehr umfänglichen Förderkriterien ab«, sagt Finanzdezernent Jauch. Er geht davon aus, den Förderantrag im Februar einzureichen. Das Wirtschaftsministerium will diesen binnen acht Wochen begutachten und eine mögliche Zusage im Frühjahr treffen. Danach entscheidet der Jenaer Stadtrat final. Bei positivem Votum beginnt dann die Ausschreibung - laut Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) ist ein erster Spatenstich noch 2012 realistisch.

 

Dazu noch ein Kommentar von Autor Tino Zippel (28.01.2012):

Der Stadt Jena kann nichts Besseres passieren als das Arena-Projekt. In das Stadion müsste die Kommune so oder so Millionen investieren, um Flutlichtmasten zu sanieren oder Toiletten zu bauen. Standard 1950, der teilweise herrscht, ist kein Aushängeschild für den Leuchtturm des Ostens. Es verwundert, wenn der Interessenvertreter des größten Gewerbegebietes behauptet, das Projekt sei »überbordend« - ob er vorher überhaupt das Konzept gelesen hat? Die Jenaer Wirtschaft präsentierte sich schon mal visionärer. Zählen bei der Fachkräftesuche doch auch weiche Standortfaktoren. Zu jenen gehört neben einer Philharmonie auch der Fußball. Und waren es nicht auch die Firmen, die sich beklagten, dass Räume für Tagungen oder Hauptversammlungen fehlen? Im Gegensatz zu Erfurt, wo angesichts der Messe und anderer Veranstaltungshallen durchaus zu hinterfragen ist, ob die kalkulierten Zahlen für die Arena aufgehen, braucht Jena ein Tagungszentrum. Und das bekommt die Stadt mit der Arena frei Haus geliefert. Das Nutzungskonzept für das Stadion liest sich wider Erwarten schlüssig und setzt keine übertriebene Belegung voraus. Steuern Bund und Land tatsächlich 90 Prozent bei, sollte Jena zugreifen - trotz des Eigenanteils in Millionenhöhe